Klavierspiele (1971)

Atonale Musik ist eine neugierige Musik. Sie versucht auf neuen Wegen in das  Wesen der Musik einzudringen und unseren musikalischen Erfahrungsbereich auszuweiten, indem sie bewußt auf die Möglichkeiten einer funktionsgebundenen Musik verzichtet. So hat sie wohl den Boden tonaler Bindungen verlassen, nicht aber den Boden musikalischer Gesetzmäßigkeiten. Vieles an ihr mag zunächst fremdartig und abstoßend sein, wie es so häufig bei neuen und unbekannten Dingen ist, aber wir sollten trotzdem die Auseinandersetzung mit ihr nicht scheuen, damit unser Urteil gerechter und unser Ohr schärfer wird. Diese Musik ist nicht falsch, sie ist anders.

Zwölftonmusik ist eine der Möglichkeiten atonaler Musik. Im Mittelpunkt steht eine sich ständig, auch transponiert wiederholende 12-tönige Reihe, gebildet aus den Halbtönen der chromatischen Leiter, frei in der Anordnung der Töne, aber ohne Tonwiederholung und intervallische Bildung. Diese Reihe ist weder Thema noch Melodie, sie ist Baumaterial und Ordnungsprinzip der aus ihr entwickelten Komposition. Es gibt in ihr keine Grundtonbezogenheit mehr, die Töne sind nur „aufeinander bezogen“.

Mit dem tonalen Bezug entfällt auch das Akkordverständnis. Bisher bekamen alle Akkorde ihre Bedeutung von den Tonleitertönen, auf denen sie aufgebaut waren. Sie verstärkten deren tonale Bedeutung (Funktion). Da diese Bedeutung bei der Komposition mit der 12-Tonreihe nicht mehr existiert, ist Mehrstimmigkeit jetzt also keine Frage der Funktionsharmonik mehr, sondern der Stimmbewegung, der rhythmischen Vielfalt, der klanglichen Verdichtung bis zum Geräusch.

Die folgenden Stücke wollen Möglichkeiten zum Verständnis dieser Musik bieten. So liegen ihnen neben systematisch gebauten auch ganz frei gebildete Reihen zugrunde, einige fügen sich in ein Taktschema, andere sind taktlich ganz frei. Auch formal sind die Stücke ganz unterschiedlich. Einige folgen einem strengen Strukturprinzip, andere haben eine freie Entwicklungsform, d.h. sie werden nicht einfach „durchgespielt“, sondern müssen  „gebaut“ werden. Bei allen aber geht es um ein planvolles Kräftespiel von Klang, Takt, Rhythmus, Dynamik und Artikulation.

Diese Stücke sollten nach ausreichender Analyse möglichst auswendig gespielt werden. Sie sind mit Absicht kurz gehalten und ohne besonderen technischen Aufwand geschrieben. Die Zeitangabe am Ende der Stücke soll als Anhaltspunkt, nicht als Vorschrift verstanden werden.